German Angst und German Freude.

Angst. Doppelgänger. Gesundheit. Schadenfreude. Oder Weltschmerz. Worte, die das Deutsche auf fremde Zungen exportierte. Interessant, dass man uns und unserer ansonsten nicht so beliebten Sprache ausgerechnet solche Worte „abkauft“. Und nicht so etwas wie den Metallklorollenhalter. Oder die Straßenbahnhaltestelle. Wahrscheinlich zu lang. Zu bedeutungslos. Wir Deutsche sind die selbsternannten Bedeuter des Bedeuteten.

Trotzdem Welt-Angsthasen. German Angst ist so cool. Wir sind romantische – Doppelgänger. Sorgen uns Tag und Nacht um unsere Gesundheit und haben gern mal eine Schadenfreude. Statt ausgelassener Freude bevorzugen wir –  Weltschmerz. Im Übrigen ist auch Zeitgeist typisch deutsch. Der ist ein ganz besonderer deutscher Geist. Temporärer Spiritus. Bruder des Weltschmerzes. Weltschmerz ist nichts anderes, als eine Haltung des Geistes. Bevorzugt des deutschen Geistes. Und während die Amerikaner sich bei uns das Fahrvergnügen leihen – aus dieser harten, deutschen Sprache – bauen wir fleißig weiter Autos. Und haben Angst, dass wir die Führung verlieren könnten – beim Schneller-Höher-Weiter des Autobaus.

Der Dauerbrenner auf Partys ist es zu lamentieren. Kommt überall gut an, das beliebte Spiel der Erwachsenen: Ist es nicht schrecklich? Dieses, dieses, das und dies. Alles! Dieses Leben. Diese Verpflichtungen. Diese Arbeit. Miete. Sorgen. Nöte. Diese EU. Diese aufmüpfigen Ossis. Diese Frauen. Diese Männer. Diese Veganer. Diese Kinder. Dieses Bildungssystem. Diese Nachbarn. Diese… ich hol mal kurz meinen Duden und füge beliebig Wörter ein. Ok, ok – mach ich nicht. (Kleine Randbemerkung: Ich habe fünf Duden im Bücherregal, weil meine Mutter die offenbar im Sonderangebot günstig erstand und mir fünfmal hintereinander zum Geburtstag einen schenkte. War allerdings in den Neunzigern.

Natürlich schau ich da jetzt nicht rein, es gibt ja duden.de). – Vom UNS zu mir: Auch ich bin mitnichten von elfenhafter Leichtigkeit. Weder körperlich und schon gar nicht geistig. Natürlich zermartere ich mir Tag und Nach das Hirn, was der Sinn dieses Leben sein könnte. Leider kann ich keinen abschließenden Bericht liefern. Was ich weiß: Es geht rasend schnell vorbei. Ich sollte jeden Tag beim Aufwachen kreischen vor Glück, weil ich noch so einen Tag geschenkt bekomme. Vielleicht noch ein Jahr. Oder ein Jahrzehnt. Je weiter ich davon entfernt war, mir diese Gedanken zu machen, desto intensiver badete ich in deutschem Weltschmerz.

Die Welt braucht meinen Schmerz nicht, aber ich brauche die Welt, fällt mir da in Abwandlung eines mahnenden Spruches der frühen Ökobewegung ein. Adieu, Weltbetrachtung. Ciao, Weltschmerz. Ich geh jetzt zur Straßenbahnhaltestelle, um hernach einen Metallklorollenhalter zu kaufen. Leben geht immer weiter. Irgendwie. Ach, ich hab noch was vergessen: Wir sind höflich, wir Deutschen. Und pünktlich sind wir auch. Wir reden nicht so laut. In der Öffentlichkeit. Mit Ausnahme der Sachsen. Ein Vorurteil? Sachsen sprechen sächsisch. Und das ohne Hemmungen – überall. Ich liebe – wie alle anderen auch – meine Vorurteile. Sie strukturieren meine Wahrnehmung. Jeder hat sie. Ausnahmslos. Sehr lobenswert diejenigen, die sich dessen bewusst sind. Und ab und an den Versuch starten, vorurteilslos irgendeine Sache zu betrachten. Ich gebe zu, mir gelingt das nicht immer, aber immer öfter. Ich bin übrigens aus Sachsen. Und ich spreche leise.

Das Ungenügen an mir (selbst) oder die neue wunderbare Kunst

Peter Sloterdijk schreibt in seinen Notizen 2008-2011, die er „Zeilen und Tage“ nennt, über Jonathan Meese, der in einer Debatte – vermutlich einer Künstlerdebatte – junge Diskutanten mit der These begeisterte, dass die Kunst heute so wunderbar sei, weil man bei ihr endlich gar nichts mehr können müsse. Und – jeder charakterisiere seinen mentalen Status durch die Bedeutung, die er diesem Satz beilege. Ja, nun? Darf ich glücklich sein, ohne etwas zu können, meine Erzeugnisse dennoch Kunst nennen zu dürfen? Oder gehe ich in mich – wie immer – und frage: Ist es Kunst? Ist es Gebrauchskunst? Ist es gar schnödes Kunstgewerbe, was ich da drechsle.

Ich drechsle ja kein Holz,  mische keine Farben, ich behaue keinen Stein, schreibe keine Noten und spiele auch nicht Klavier oder Geige. Ich schreibe Worte. Einfach Worte. Aneinanderreihen. Das kann schließlich jeder. Jeder hat in der Schule schreiben gelernt. Jeder kann sprechen. Also irgendwie mit Worten umgehen. Jeder kann es. Nur manche besser. Und während der Bildende Künstler endlich froh sein darf, dass er seine Kreation, die möglicherweise ohne ein Können entstand, einfach Kunst nennen darf, muss der Wortedrechsler vorsichtig sein. Es kann ihm zu sehr ins Schreibwerk geschaut werden – von all den Wortkönnern per se. Den Schreibern per Unterstufe.

Oft frage ich mich: Darfst Du Dich Autorin oder Texterin nennen? Kannst Du es besser, als andere? Was ist es, was Dich unterscheidet, dass Du es zum Beruf machst? Ja, ich kämpfe mit mir. Kämpfe täglich mit dem Ungenügen an mir. Selten schreibe ich etwas, zu dem ich begeistert sage: Ja! Das ist Dir gelungen! Das ist super! Selten klopfe ich mir auf die Schulter und rufe: Phantastisch! Das wird den Anderen gefallen. Denn die Anderen sind es ja, für die wir schreiben, malen, musizieren oder was diese freie Kunst heutzutage noch so alles kann.

Ich glaube daran, dass manche mehr Talent haben, als andere. Ich glaube daran, dass das, was in der Kunst bleibt, mit Können zu tun hat. Das Bleiben ist es. Ein überhitzter Kunstmarkt, ein verschwatztes Feuilleton kann für eine gewisse Zeit seine Lieblinge hochschreiben, wie man das heute nennt. Aber bleiben sie? Selbst unsere Nationalheiligen Goethe und Schiller werden es schwer haben, die neuen Zeiten zu überstehen. Man wird sie weiter loben und für ewig bedeutend erklären. Aber werden sie gelesen? Freiwillig? Wenn ich mir die heutige Jugend ansehe, liest die lieber im Handy, als in den Folianten der Bibliotheken oder der elterlichen Bücherregale.

Wir befinden uns mitten in einer Zeitenwende von beispiellosem Ausmaß. Alles wird auf den Prüfstand gelegt. Egal, ob die Hersteller es per definitionem „konnten“ oder nicht. Kunst ist am Ende das, was bleibt. Und dieses Bleibende kann auch wieder verschwinden. Wie wir alle. Wie unsere Gewissheiten und Vorstellungen von uns und von der Welt. Ich bleibe demütig.