Geld borgen. Das haben wir ja alle schon irgendwie mal gemacht. Und wenn es in jungen Jahren war, als wir noch nicht wussten, was das bedeutet. Meine Familie war für DDR-Verhältnisse wahrscheinlich – zumindest für die anderen – reich. Mein Vater war Professor, meine Mutter Journalistin bei der einzigen großen Zeitung unseres „Bezirkes“, wie die kleinen „Bundesländer“ in der DDR hießen. Eine Parallelstraße weiter wohnte eine der Familien, die mit dem Haushaltsgeld nicht klar kam. Es war nicht viel, das, was man als normale Arbeiterfamilie verdiente. Zumal, wenn man vier, fünf Kinder hatte, was in der DDR meiner Zeit nicht unnormal war. Zwanzig Mark Kindergeld. Das war es, was es an Unterstützung neben subventionierten Grundnahrungsmitteln und unvorstellbar niedrigen Mieten gab. Aber es reichte nicht. So gab es eine Familie, wie sie uns ausfindig gemacht hatten, weiß ich nicht, die jeden Monat die unglückliche Tochter zu uns schickten, um zwanzig Mark zu borgen. Sie stand regelmäßig vor unserer Tür und sagte immer den gleichen Satz: „Könnten Sie uns mit zwanzig Mark „aushelfen“?“ Natürlich konnten wir das. Und wir taten es. Und regelmäßig brachte das Mädchen die zwanzig Mark monatlich zurück. Mein Vater legte diese zwanzig Mark dann schon an der Eingangstür ab. Damit sie immer griffbereit waren. Ich sagte dann eines Tages: „Lieber Papa, wollen wir ihnen diese zwanzig Mark nicht einfach schenken? Dann muss dieses Mädchen sich nicht Monat für Monat vor uns erniedrigen.“ – Er meinte: Ja, das könnten wir machen. Aber es würde bedeuten, dass sie die nächsten zwanzig Mark borgen will, glaub mir. Es ginge immer so weiter. – Also tauschten wir den Zwanzigmarkschein Monat für Monat. Sie kam, bettelte, wir gaben und empfingen. Ein Ende hatte das Ganze, als wir weggezogen sind. Komisch, dass ich diese Geschichte nie vergessen habe. Obwohl es sich Ende der Sechziger Jahre abspielte…