Das sind Anna – meine Enkelin – und ich nach unserem Besuch in Graz/Österreich. Bei meiner Freundin Agnes. Anna hat uns herausgefordert. Agnes und mich. Denn wir wollten ihr – sie war damals achtzehn – einen schönen Urlaub bereiten. Aber sie fand alles doof. Das einzige, was sie erregte, war der erstmalige Anblick von echten Kühen auf dem Schöckl. Und vielleicht die Seilbahn. Ansonsten wollte sie shoppen. shoppen, shoppen, shoppen. Es war ein sehr heißer Sommer, damals. Immer über 35 Grad. Ich wankte mit ihr durch die Einkaufscenter und kauft ihr, was sie wollte, damit ich endlich nach Hause durfte. Abends schauten wir uns Videos von Miss Bella – der damals angesagten Youtuberin – an. Agnes und ich waren am Limit. Anna sicher auch. Denn wir waren nicht die richtigen Freundinnen. Nach langen Wartezeiten und Wirren kamen Anna und ich endlich irgendwann wieder in Berlin-Tegel – gibts heute nicht mehr – an. Wir mochten uns nicht und sie verschwand in einen Bus und ich in einen anderen. – Aus heutiger Sicht: Es waren dennoch glückliche Zeiten. Es gab kein Corona, keine Impfung, keine Tests. Es gab keine OP-Masken, mit denen wir uns nicht mehr erkennen und wie Bankräuber aussehen. Es gab alles. Und nichts. Es gab einfach Freiheit. Die wir damals noch nicht als Freiheit definierten. Heute sind wir klüger. Es gibt OP-Masken, es gibt Impfzwang – demnächst – es gibt Tests und jede Reise wird uns verleidet. Anna kann nicht zu den von ihr so geliebten Festivals fahren, weil sie nicht stattfinden. „Die versauen mir meine Jugend!“ – Seltsamerweise hat sie die damalige Fahrt nach Österreich als einen wundervollen Moment in ihrem Leben abgespeichert. Alles, was nicht gut war, für sie, hat sie gekonnt verdrängt. Sie möchte „so gern“ noch einmal mit mir nach Graz fahren. „Das war doch so schön!“- So ändern sich die Zeiten.
Monat: Juli 2021
Ich schmachte blonde Gräfinnen an.
Da ich – bis auf die frühe Jugendzeit – eher rund, denn superschlank, und leider auch ziemlich klein war, lief ich beizeiten unzufrieden durch mein Leben. Selbstverständlich hat mir so etwas meine Mutter eingeredet, in dem sie immer sagte: „Wir sind eben der italienische Typ!“ Der italienische Typ. Nun ja, nicht schlecht. Gina Lollobrigida oder Sophia Loren, die Busen-Taillen-Frauen meiner Kindheit. Heiß begehrt in den Kinos. Voller Blut und Temperament. Ich war es zufrieden. Aber nur für kurze Zeit.
Später kamen dann diese Riesenmodels, diese (meist) blonden Unnahbaren. Es gibt sie. Diese unauffällig perfekten Frauen, die meine Lebenswege ab und an kreuzen. Sie sind groß. Sie sind mühelos schlank. Sie sind niemals schlecht frisiert oder ausgebildet und haben perfekte Haut, Zähne und Hände. Mit großen polierten, aber keineswegs von einem Nagelstudio behandelten Fingernägeln. Niemals abgekaut bis aufs Blut. Niemals. Sie tragen Kleidung im Zustande des selbstverständlichen Understatements – teuer und elegant. Sie schminken sich dezent oder gar nicht. Sie tragen blonde Hochschlagfrisuren oder Zöpfe. Sie sagen nur coole Sätze.
Ich stelle sie mir vor, wie sie am Morgen aufstehen. Sie sind nicht zerknittert im Gesicht, scheinen immer frisch, wie aus dem Ei gepellt, selbst dann, wenn sie noch im Bett liegen. Sie absolvieren unauffällig ein Mysterium von Morgentoilette, das sie noch schöner, wohlriechender und unnahbarer macht. Sie sitzen filmreif allein am Tisch, ihr Appetit ist dauergezügelt. Sie nehmen Toast mit englischer Bitter-Marmelade, den sie anbeißen, aber nicht aufessen, einen Orangensaft und einen Kaffee zu sich. Wie die Schwester (von Klaus Mann) in dem Film „Mephisto“ von István Szabó. Die Tochter Erika von Thomas Mann, die Klaus Maria Brandauer aka Gustav Gründgens später heiratet. Nicht zum Vergnügen, wie es scheint. Das holt er sich woanders. So hoffen hämisch wir Frauen, die hoffnungslos sind – ob dieser blond-kühlen Grandezza. Nach dem – nur aus Vernunftgründen – genippten Frühstücksminimum reiten die großen blonden Frauen mit festentschlossenem Blick im Frühnebel auf einem Schimmel davon und kontrollieren ihre Anwesen. Wie sie alles kontrollieren. Was ihnen selbstverständlich immer gelingt. Es scheint kein Teufel in ihnen zu wohnen, der täglich all dieses wohlgeordnete und moderate Tun torpediert.
Es scheint kein Teufel in ihnen zu wohnen. Ich nenne diese Frauen: Die Gräfinnen.
In meinem langen Leben begegnete ich einigen Gräfinnen. Und fühlte mich jedes Mal scheußlich. Minderwertig. Hoffnungslos abgehängt. Ich kann in ihrer Anwesenheit nicht lachen und nichts Großartiges von mir geben. Im Gegenteil. Ich stehe da, sage nichts, nehme mir die nächste Diät vor und denke an einen Therapeuten, der mir Nägelkauen, Selbstzweifel und Panikattacken austreibt. Der mir blondes Selbstbewusstsein einimpft, wie eine Corona-Spritze. Der mir vermittelt, dass ich nicht vom anderen Stern bin, immer dann, wenn ich einer Gräfin begegne. Der mir wenigstens eine innere Reitpeitsche einzureden vermag. Doch wo gibt es so einen Therapeuten? Nirgends, nie. Ich werde in diesem Leben die vom anderen Stern bleiben. Vom Chaos-Stern. „“Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.” – Danke Friedrich Nietzsche für diesen Trost. Aber auch der schafft nicht, mir meine Unterlegenheit auszureden. Niemand kann mir das ausreden. Es ist so, war immer so und wird immer so sein. Meine tiefe Bewunderung für ein Gräfinnen-Dasein lass ich mir nicht nehmen. Diese Bewunderung ist genauso da, wie der Abstand, den ich halte. Ich habe Angst, in der Gräfinnen Gegenwart etwas falsch zu machen. Zu viel zu essen, dummes Zeug zu reden, falsch angezogen zu sein, zu dick, zu müde, zu arm und nicht mit der Pferdezucht vertraut.
Insbesondere hanseatische Gräfinnen haben das Zeug, mir den Rest zu geben. Sie schmelzen mein Wertgefühl innerhalb von fünf Minuten zu einem Kügelchen, das ich dann suchen muss, atemlos und schwitzend in meinen staubigen Ecken.
Thomas Mann schmachtete blonde Kellner an. Ich bin auf seinen Spuren. Ich schmachte blonde Gräfinnen an.
Das Tollste ist: Sie wissen es nicht. Sie sind so selbstverständlich Gräfin, wie ich keine bin. Und finden mich ganz normal.
Und wenn sie das hier hören oder lesen, fangen sie an, mir ihre Probleme zu schildern. Die glaube ich selbstverständlich niemals.
Die Küche als Kulturindikator
Irgendwann in meinem früheren Leben habe ich ein Interview mit einem amerikanischen Professor gemacht. Er sagte, dass er schon überall war, auf jedem Kontinent, in jeder größeren Stadt, die man so kennt. Er habe festgestellt, dass er immer bei den Leuten, die er dort kannte, in der Küche gesessen und sich sehr wohl gefühlt habe. In der Küche quatschen und sonst nicht viel mehr, in den USA, in Australien, in Berlin und sonst irgendwo. In der Küche quatschen, etwas Schönes essen und trinken. Das wäre überall wundervoll. Er kenne die Länder und Städte im Grunde nur durch die Küche seiner Freunde. Denn er habe kein Bedürfnis gehabt, rauszugehen und Besichtigungen zu absolvieren. Schon damals dachte ich: Du bist genauso wie ich! Aber ich sagte es nicht. Schon damals dachte ich an Küchen, in denen ich glücklich war. Kindheitsküchen. Großmutterküchen. Schon damals dachte ich an Küchen, die immer den Teil einer Party meiner Jugend und auch später ausmachten. Küchen, in denen sich alle drängten und wie die Sardinen miteinander parlierten oder sich anderweitig näher kamen. Küchen haben eine Anziehung, die noch eines anderen Beitrages bedarf. Nur so viel: Küchen sind Kultur. Küchen sind wundervoll, sind ernüchternd, sind eklig. Alles. Können höchstes Glück und vollkommene Ordnung symbolisieren und – auch verkommen und verdreckt sein. Aber von diesen unküchenhaften Küchen rede ich jetzt nicht. Ich huldige der großartigen Küche, die es in allen Ländern gibt. Küchen. Sie sind die Tränke, die alchemistische Verquickung. Sie sind der Ausgangspunkt – in das Leben – da draußen. Sofern man es will. Wir können dort auch ein Leben lang verharren. Und ich verurteile das nicht. Im Gegenteil. Oder gehen.