Ich liebe amazon. Und zwar nicht erst, seit Jeff Bezos der gefühlt oder tatsächlich reichste Mann der Welt ist. Ich hab da schon Bücher gekauft, die es sonst nicht gab, als es nur ein Buchversand war. Und so bin ich eine amazon-Veteranin der ersten Stunde. Letzte Woche wagte ich den Kauf einer Waschmaschine. Leider hab ich sowohl bei den einschlägigen Märkten, in die ich ja ohnehin jetzt nicht mehr darf, als auch bei den einheimischen Versandhäusern keine guten Erfahrungen gemacht. Beispielsweise als ich in Magdeburg frisch einzog, mit einer Waschmaschine von Bauknecht. „Bauknecht weiß, was Frauen wünschen!“ – hieß es einst. Ich wollte eine Toplader-Waschmaschine, eine schmale, weil die hier leider in einem Eckchen in der Küche stehen muss. Und kaufte die bei einem Versand. Es kamen zwei dicke böse Männer aus der Region. Brummig gingen sie unverrichteter Dinge und ließen mich unangeschlossen. Sie wussten nicht, was Frauen wünschen. Die beiden Herren wünschten ein Anschlussventil für den Wasserhahn. Das war nicht dabei. Angeblich. Ich kaufte es dann im Media-Markt, nachdem ich recherchiert hatte, wie so ein Ding heißt. Ich verriet es den Verkäufern im MediaMarkt, weil die nicht wussten, dass sie so etwas haben. Ich hatte es auf meinem Handy gespeichert, und zeigte ihnen das Bild aus ihrem Sortiment. Tja, der Fachkräftemangel ist groß in Deutschland. Deshalb haben wir jetzt die neuen Fachkräfte. Und sie würden mit einer Candy kommen – die den alten Bauknecht, der nicht mehr schleudern will, ablösen sollte. Auch ein Toplader, der angeschlossen werden musste. Von 7 bis 19 Uhr. Fast wie in der DDR so ein „Zeitfenster“, wie das neudeutsch heißt. Ich wollte die freundlichen Service-Mitarbeiter von amazon nicht fragen, ob ich damit rechnen kann, dass die Fachkräfte für den Anschluss der Neuen vielleicht meine Sprache nicht verstehen. Ist ja immer so diskriminierend. Insgeheim wusste ich: Es werden zwei hübsche schwarzlockige Herren mit der Candy im Arm dastehen. So wie die, die täglich für amazon die Pakete austragen. Und sie kamen, Klischee hin oder her, und sahen aus, wie gedacht, verliefen sich, wie alle neuen Postboten im Haus, weil sie meine Anweisungen per Hausprechanlage nicht verstanden. Tragen war auch nicht. Sie ruckelten das immerhin elektronisch und sogar mit WLAN Funktionierende in spe mit einer Karre lautstark die Treppen hinauf und traten schweigend ein. Schweigend wurde der alte Bauknecht inspiziert und auf die Karre geladen. Schweigend machte sich der eine an den Anschluss der Neuen, während der andere die Verpackung auf die Karre lud. Der, der montieren sollte, schraubte mit selbst mitgebrachtem Werkzeug eine Weile herum. Schloss den Wasserhahn mit neuem Ventil an. Und auch den Ablauf. Sah alles gut aus. Dann machte er die Probe, in dem er die Maschine laufen ließ. Das Display blinkte verheißungsvoll, das Wasser lief. Gefühlte 20 Minuten Schweigen waren vergangen. Ich fragte keck in die Runde: „Sprechen Sie auch?“. Beide sahen mich fassungslos an. Der Montierende sagte. „Was?“. Der Packende sagte nichts und begab sich mit der Karre in den Hausflur. (Ja, ich kann auch gendern) – Ich fragte: „Gibt es eine Bedienungsanleitung?“ Er: „Was?“ – Ich stellte mit Händen und Füßen eine Bedienungsanleitung dar. Er lachte und reichte mir einen Beutel mit vielen kleinen Heftchen. Kennt man ja. Sie bekamen Trinkgeld. Sie lächelten zum ersten Mal. Der Monteur sagte: „Können schreiben das?“- Ich: „Was?“ – Er zeigte auf ein Protokoll. Ich sollte ausfüllen, dass sie da waren, alte Maschine und Verpackung wieder mitgenommen und die Neue angeschlossen haben. Ok. Mach ich. Sie waren sehr froh – mit Trinkgeld und ausgefülltem Protokoll. Sie liefen zu ihrem Fahrzeug und fuhren zum nächsten Kunden. Ich war Kunde Nr. 5, wie ich auf der von amazon online zur Verfügung gestellten Karte einsehen konnte. Da ist alles drauf, wo sie vorher sind und so. Super. „Wir wollen das servicefreundlichste Unternehmen der Welt sein!“ – so eine Selbstdarstellung von amazon. Ok. Es war ein Erlebnis. Schweigend ins Gespräch vertieft. Ein Schweigecamp am Morgen, zwischen Flur und Küche. Es ist ne „Candy“, was brauchts der Worte mehr! Eine Waschmaschine braucht keine Worte, sie soll waschen. Was ich dann probierte. Kurzprogramm. Schleudern kann sie 1400. Ich nahm mal nur 1000. Als sie so richtig in Fahrt kam, diese italienisch-amerikanische Candy, wie ich ergoogelt hatte, fing die an, sich auf eine Explosion vorzubereiten. Ich musste mich auf sie werfen. Und kann jetzt überlegen, ob ich das Waschkleinod vom Servicefreundlichsten Unternehmen der Welt behalte, mich immer an sie klammere und gleichmal Rüttelplatte trainiere. Oder doch vielleicht zurückgebe? Ich werde morgen den Kundendienst anrufen. Es wird sicher auch ein Erlebnis sein. Man hat ja sonst nichts in diesen Corona stillen Zeiten.
Monat: November 2021
Der verrückte Präsident oder – Der Tag, als die Mauer fiel…
Die Mauer fiel vor 32 Jahren. Niemand hat das geglaubt. Vielleicht ein paar Jahre zuvor ein mir verrückt erscheinender amerikanischer Präsident. Der war ja auch ein Schauspieler, dachte ich damals, als er Mr. Gorbatschow aufforderte, „this gate“ zu öffnen. Er stand vor dem Brandenburger Tor. „Nein, nein, nein, so lange ich lebe, wird diese Mauer stehen. Die Nazis haben kein Tausendjähriges Reich errichtet, aber die Kommunisten werden zumindest ein Hundertjähriges schaffen!“ – dachte ich. Und nicht nur ich. Ich kann heute fragen, wen ich will. Alle ehemaligen DDRler hielten einen Fall der Mauer zu ihren Lebzeiten nicht für möglich. Umso überraschender war es, wie schnell die Ereignisse sich überschlugen. Vor ein paar Jahren fragte mich meine Enkelin Anna: „Wie war denn das damals, als die Mauer fiel? Wer hat damit angefangen?“ – Ich musste zugeben, es nicht genau zu wissen. War es der etwas verwirrt erscheinende Günter Schabowski im Fernsehen bei einer Pressekonferenz? Der schaute auf seinen Zettel brummelte irgendetwas herum, dass jetzt ab sofort jeder… – Irgendwie muss es so gewesen sein. Ich kann mich erinnern, dass ich an jenem Abend des 9. November 1989 zu einem Englischkurs war. Als ich nach Hause kam, saß mein Mann Peter bleich vor dem Fernseher und sagte: „Hast Du es schon gehört?“ Es klang mindestens wie ein: „Weißt Du schon, dass der 3. Weltkrieg ausgebrochen ist?“ – Ich wusste nichts. Und er sagte mir, dass die Mauer offen sei und alle aus dem Osten jetzt hier rein können. Zu uns nach Westberlin. Wir sahen uns die sich ständig wiederholenden Bilder im Fernsehen an. Plötzlich klopfte es. Mein damaliger Schwager, der (geschiedene) Mann meiner Schwester, auch ein Rockmusiker, wie Peter, stand vor der Tür. Ich sagte: „Was! So schnell bist Du hier!“ – Er und auch meine Schwester wohnten im Prenzlauer Berg. Also damals in Ost. „Wieso schnell? Ich habe jahrelang um diesen Pass gekämpft. Heute Morgen musste ich noch umfangreiche Papiere unterschreiben, zum Beispiel, dass ich nicht die Museen des Preußischen Kulturbesitzes besuchen werde. Nun habe ich den Pass! Ab sofort kann ich in den Westen einreisen, wann ich will! Und Euch besuchen!“ Ich begriff. Er hatte das begehrte Dauervisum, das nur Auserwählte in der DDR besaßen. Ein Privileg. Ich begriff auch, dass er nicht wusste, dass sein Privileg nur noch für diesen Tag galt. Nach ihm stürmte der gesamte Osten in den Westen. Auch ohne Visum. Wir versuchten, es ihm klar zu machen, zeigten auf den Fernseher und er wollte es nicht glauben. „Für ein paar Stunden privilegiert, Scheiße!“ Tja, wir gingen dann in Kreuzberg in unsere damalige Stammkneipe und als die ersten Skodas und Trabbis draußen hielten, glaubten wir endgültig, was hier passierte. Nicht im Entfernten ahnend, dass es ein Jahr später eine „Wiedervereinigung“ geben würde. Noch weniger ahnend, dass 32 Jahre später keiner mehr darüber spricht, weil alle mit Impfungen beschäftigt sind und eine Impfpflicht fordern. Willkommen in der großen DDR!
November – Monat des Todes. Monat der Transformationen.
Schön grau heute. November. Nicht, dass ich ihn sonderlich mag, diesen seltsamen Monat der Revolutionen, des Karnevals, des Todes. Den Monat der Nebel und der düsteren Schatten. Auch Sonne hat er im Repertoire, auch Küsse und gefährliche Liebschaften. Hat den Skorpion im Gepäck und beginnt mit Allerheiligen und Allerseelen. Mit den Toten schloss auch der Oktober. Tot die Alte Welt, reformieren wir eine neue Welt! Wie lange die Menschen das schon wollen! Ideen haben, wie man es besser machen könnte und dann die anderen mehr oder weniger erziehen und zwingen, mit dabei zu sein, mit aufzubauen, umzugestalten, einzureißen. Irgendwann werden wir etwas ganz Großes tun! Irgendwann und ganz bestimmt werden wir die Welt retten! Und wer da nicht mitmachen will, wer der „Schönen Neuen Welt“, der Transformation, wie es neuerdings auf allen Kanälen heißt, nichts Erstrebenswertes abgewinnen kann, muss gezwungen werden. Willst Du also nicht mit – in die neue Zeit, dann kämpfe! Dann wehre Dich! Dann schau nicht mehr weg oder zu. Oder geh auf den Friedhof und vergieße heiße Tränen.
Kinder kennen es nicht anders. Sie lieben Halloween, das Fest der Untoten. Das Fest des Blutes und des Grauens. Fest der Kürbisse. In den Neunzigern kam der alte irische Brauch, den die Amerikaner so lieben, auch nach Deutschland. Kinder haben keine Scheu vor den Toten. Sterben? Das passiert den Anderen. Ich bin unsterblich! So denken sie, wie alle Generationen vor ihnen. Und sie feiern den Tod und die Auferstehung der Dahingeschiedenen, ohne es wirklich zu wissen. Ahnen es mit den Jahren immer mehr. Zunächst erst einmal Süßigkeiten einsammeln. Heutzutage nicht wegen einer Tafel Schokolade oder dem Beutel Bonbons. Die sind nicht wichtig. Die sind – wie ihre Mütter ihnen mittlerweile erfolgreich eingehämmert haben – sowieso „ungesund“. Wichtig ist – die Beute! Beute machen, ein menschlicher Urtrieb, der sich an Halloween so unverhohlen austoben kann. Später werden sie mit Gier und Beutemachen vorsichtiger umgehen (müssen) oder es ganz verlernen. Später kommen die Schneeflocken. Fallen vom Himmel als neue Generation, die mit dem Tod nicht umgehen können wird. Die nicht die Urne der geliebten Verstorbenen auf dem Büffet ausstellt, sondern an die eigene Transformation denkt. Transhumanismus als neue elegante Motivation, dem Tod nicht ins Auge sehen zu müssen.
Vom Allgemeinen ins Konkrete: Meine österreichische Freundin meint, dass wir Deutschen, ich auch, immer wieder erstaunt den österreichischen Hang zum Morbiden registrieren. Das wir uns wundern, wie die alles ausführlich und minutiös ausschlachten, was mit Tod und Vergehen zu tun hat. Die genüssliche Beschreibung von Krankheit und Verfall. Die Begeisterung für späteres Liegen in einem Friedwald. Wie sie Beerdigungsmöglichkeiten enthusiastisch ausmalen, als handele es sich um ein üppiges Hochzeitsmenü. Wie dieses Menü im Detail aussehen soll, bitte vor dem Tod festlegen! In allen Facetten. Sonst steht der Hinterbliebene „dann da mit der Leich‘!“ Ich schaudere beim Zuhören. Natürlich werden sie ihr – der Leich‘ – dennoch ein schönes Plätzchen bereiten, damit „sie es schön warm hat – in ihrer Urne auf dem Wohnzimmerbüfett, denn „er mochte es nie kalt und hatte immer kalte Füße.“ – Ja, klar. Das ist herzerwärmend. Leider sind in Deutschland Urnen im Hause der Hinterbliebenen gar nicht möglich. Das ist hier verboten. In der Disziplin des Verbietens macht uns so schnell keiner was vor. Obwohl die Österreicher, wenn es um die Verbotsgeschichten mit den verschiedenen Gs geht, das zur Zeit zumindest nachmachen. Doch weiß ich, sie nehmen es nicht so genau und auch nicht so schwer. Da gibt’s immer ein Augenzwinkern. Das haben sie uns voraus. Dafür liebe ich die Nachkommen meiner Großmutter.
Foto: Ottilie Hartwig