06. Dez 2017

Im Abendkleid die „Hausordnung“ machen und andere unordentliche Sachen

Dieses Foto hat unsere unermüdliche „Haus“fotografin und Freundin Edith Tar geschossen. Sie hielt immer drauf, wenn was Tolles passierte. Aber auch, wenn was Schlimmes passierte. Zum Beispiel, wenn ich nach zu viel Alkohol aus dem Auto heraus kotzen musste. Gnadenlos diese Dokumentationswut. So auch hier. Damals war ich wütend, weil sie immer alles festhielt. Heute muss ich lachen und freue mich, dieses verrückte Bild zu haben. – Es war vielleicht ein Samstagnachmittag. Wieso Moritz, der da mir gegenübersteht, eine Art Nachthemd anhat, weiß ich nicht mehr. Vielleicht war es nach dem Mittagsschlaf, den meine Kinder eigentlich niemals abhielten. Also nicht. Vielleicht wollten die Kinder in die Badewanne. Gleich hinter uns sieht man ein bisschen vom Bad. Und nein, das ist nicht in irgendeinem Theater mit seinem „Hinterland“, wie manche schon dachten, das ist unser Flur in unserer Leipziger Wohnung. Düster und in diesem Moment unter Wasser gesetzt. Die Kinder – das waren in diesem Fall Ben und Moritz – hatten die Wanne überlaufen lassen und den gesamten Flur geflutet. Deshalb auch die nassen Teppiche, die schon aus dem Schussfeld genommen sind. Ich durfte dann mit Schippe und Wassereimer erst einmal die Wassermassen so eindämmen, dass ich später mit Handtüchern und Wischlappen den Rest beseitigen konnte. Ich – bekleidet mit einem Kleid, dass ich aus einem Nachthemd hergestellt und schwarz gefärbt hatte – ja, das haben wir gemacht, denn die Nachthemden waren in der DDR schöner, als die „richtigen“ Kleider – dazu Netzstrümpfe und Schuhe mit hohen Absätzen. In meinen Stasiakten habe ich gelesen, dass sich Hausbewohner darüber beschwerten, bei den Herren Interviewern, dass ich im „Abendkleid die Hausordnung“ machen würde. Hier also auch. Im Abendnachthemdkleid den überschwemmten Wohnungskorridor bereinigt. Ich schimpfe mit Moritz. Man sieht es. Vordem habe ich in der Küche gesessen und Alice Miller gelesen. War es „Das Drama des begabten Kindes“ oder war ich schon eins weiter und es war „Am Anfang war Erziehung“. Ich war damals – wie viele aus unseren „Kreisen“ – von dieser Schweizer Psychoanalytikerin, die sich für die Rechte der Kinder einsetzte, begeistert. Später, sehr viel später, las ich einen Artikel über ihren Sohn, der sich von seiner Mutter losgesagt hatte, weil sie eine schlechte Mutter gewesen sei. Das hat mich einerseits entsetzt, andererseits auch beruhigt. Denn, dass ich eine schlechte Mutter bin, hab‘ ich ja auch sehr oft gedacht. Heute eher nicht mehr. Dieses Ungenügen an sich selbst hat wohl jede Mutter. Und da meine Söhne heute ausnahmslos zu mir stehen und sich nicht beschweren, wie es in ihren Kinderzeiten bei uns zuging, geht’s mir sogar besser, als Alice Miller. Also liebe ich dieses Foto und kann, wie alle anderen auch, darüber lachen.


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