08. Dez 2016

8. Dezember – Der Tag, an dem Robert, der Maya heißen sollte, auf die Welt kam – in einem tief verschneiten Leipzig der Siebziger Jahre.

Dieses Kind wird ein Mädchen und Maya heißen. Die erste Täuschung. Dieses Kind wurde kein Mädchen. Es wurde Robert genannt. Am Abend seiner Geburt sagte meine Mutter: „Du siehst aus, als käme das Kind heute noch.“ Sie gab mir ein Whiskey-Glas mit einer braunen Flüssigkeit und meinte, ich solle das trinken und dann in die Badewanne gehen. Ich tat das, wie geheißen. Es war kein Whiskey, es war Cognac. Damaliges Lieblingsgetränk meiner abendlich trinkenden Mama.

Nach Getränk und Wanne setzte ich mich auf das Sofa und dachte: Naja. War wohl nichts. – Plötzlich wurde es warm und nass um mich herum. Es lief aus mir heraus. Fruchtwasser. Blasensprung hieß das. Vorzeitiger. Also Krankenwagen anrufen und ins Krankenhaus – ins Leipziger Eitingon, wie wir das damals nannten. Es begann zu schneien, die Damen an der Pforte des Krankenhauses wollten mich abweisen und nach Zwenkau schicken. Eine benachbarte Kreisstadt im Kohlegebiet um Leipzig. „Gott im Himmel, ich danke Dir für den Blasensprung“, sagte der noch nicht Geborene später, „Ich danke Dir, dass Du verhindert hast, in Zwenkau geboren zu sein! Klingt doch bescheuert für einen Rockstar!“

Nun gut, der vorzeitige Blasensprung verpflichtete das Krankenhaus in Leipzig, mich in den eigenen Kreißsaal zu schicken. Überbelegt. Es war die Zeit, in der in der DDR viele Kinder geboren wurden. Kinderreichtum wurde auch mit sogenannten Sozialleistungen belohnt. Kinder brauchte die Republik, die noch unverdrossen in Richtung Kommunismus unterwegs war. – Doch hatte der überfüllte Kreißsaal – kommt von Kreischen, wie ich später hörte – nur einen Platz für mich, der sich gegenüber der hohen Fensterfront befand. Da lag ich, wie ein gestrandeter Wal, die ersten Wehen setzten ein. Lag da. Unattraktiv und breitbeinig, Hebammen schauten nach, was sich da zwischen den Beinen tat. Und über mir die Fensterputzer, die versuchten, diskret wegzuschauen. „Tut uns leid, junge Frau! Wir müssen eben irgendwann hier auch mal Fenster putzen. Liegt ja immer eine da.“

Tja, es gibt Um- oder Zustände im Leben einer Frau, in denen Fensterputzer als Zuseher bei einer Geburt egal sind. Und es kam noch ärger. Eine Hebamme lachte und sagte zur anderen: „Schau mal, das hat aber eine Vollglatze!“ – Die andere schaute genauer und rief: „Himmel, das ist doch der Arsch!“ – Einschub: Ultraschall und entsprechende Vorbildchen gab es zu dieser Zeit noch nicht. Die Ärzte sagten bei allen Voruntersuchungen, der Kopf sei unten, wo er hingehört. Sogar im Kreißsaal, als ich dort eintraf, wurde das noch einmal behauptet. Nun also eine reine – Steißlage. Hektisch wurde das Bett zu einem Operationstisch umgebaut und eine Ärztin im OP-Kittel preschte heran. Sie sagte: Entweder wir holen das Kind innerhalb von fünf Minuten per „kleinem Schnitt“ oder wir müssen einen Kaiserschnitt machen. Dann bekommen Sie eine Narkose.

„Das Kind“ war klein und dünn. Es reichte der „kleine Schnitt“ und es kam mit blauem Hintern, aber engelhaftem rosa Gesichtchen zur Welt. Halb erstickt, erst nicht schreien wollend, aber am Ende doch wohlbehalten. Das Kind, das später Robert hieß, hat der Welt als Erstes „den Arsch gezeigt“. Ist doch auch was, oder? Am nächsten Tag war die Aufregung schon ein bisschen vergessen. Der Vater stapfte von Leipzig-Connewitz durch die ganze Stadt durch den immer währenden Schnee bis zum Eitingon-Krankenhaus am anderen Ende. Väter durften damals bei Geburten nicht dabei sein. Und ich finde das heute noch gut. Mir reichten die Fensterputzer. Straßenbahn und Busse fuhren nicht. Autos kamen auch nicht durch, weil die Stadtreinigung mit dem Schnee nicht mehr klarkam. Es war ein verschlafen verschneiter Tag im sozialistischen Leipzig. Es war ein 8. Dezember. Einige Jahre später sollte an diesem Tag John Lennon erschossen werden.


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