Schauspielerin werden. Das wollte ich. Als ich acht Jahre alt war. Und Mitglied einer Laienspielgruppe. Mit der ich „Kreismeister“ wurde. Genau genommen wurde unsere Laienspielgruppe Kreismeister im Kreis Senftenberg beim Wettbewerb der Laienspielgruppen. Senftenberg war die nahe Kreisstadt und Cottbus die etwas entferntere Bezirksstadt.
Beide liegen heute im Land Brandenburg – in der Niederlausitz. Wir spielten ein Vögel-Stück. Ich war die Frau Spatz und schimpfte sehr viel mit meinem Spatzen-Mann. Mehr weiß ich nicht mehr, nur, dass wir Spatzenkostüme hatten und Kulissen, die wir selbst aus Pappe bauten.
Es kam die Bezirksmeisterschaft, bei der wir mit unserem Spatzenvögel-Stück weit hinten landeten. Ich war außer mir. Und erzählte – wieder zu Hause in Lauchhammer – meiner Mutter empört von den Machenschaften der Jury, die uns nicht zum Meister gekürt hatte. Meine Mutter meinte, dass vielleicht doch die Anderen…. irgendwie besser…gewesen sein könnten. „Aber die haben nicht so einen Mauervorsprung wie wir!“ entgegnete ich. Vorüber meine Eltern noch jahrelang lachten. Dieser Papp-Mauervorsprung, den wir tagelang bemalt und zusammengebaut hatten, war unser ganzer Stolz.
Nach der Cottbuser Niederlage probten wir kein neues Stück, ich vermute, die Laienspielgruppe ging wegen Mangels an Erfolg ein. Ich auch – in meinen schauspielerischen Bestrebungen. Ich bekam ein Gefühl dafür, wie sehr man sich blamieren kann. Dies frisch erblühte Schamgefühl verengte mir den Mund – so dass ich kaum noch ein Gedicht vor der Klasse deklamieren konnte. Schauspielkarriere ad acta gelegt. Ich wollte Kriminalist werden.
Die Lehrer fragten im Jahresabstand nach unseren Berufswünschen. Sie wurden notiert. Warum auch immer. Und mussten laut geäußert werden. Ich sagte ab sofort: Ich will Kriminalist werden. Wir wurden als Mädchen damals noch Lehrer, Koch oder – Verkäuferin. Diese durfte weiblich sein, weil es kaum Männer gab, die den Verkäufer-Berufswunsch hegten. Einige Jahre sagte ich also stets: Ich möchte Kriminalist werden. Worauf ein Großteil der Klasse – von Jahr zu Jahr mehr – laut lachte. So dass ich mich – nachdem ich meinen Chemielehrer verehrte – auf „Ich möchte Chemiker“ werden verlegte.
Der Chemielehrer war streng. Besonders, wenn ich lackierte Fingernägel hatte, die ich der Klasse zeigen musste, um deren gemeinschaftliche Missbilligung zu empfangen. „Was sagt denn Deine Mutter dazu?“ – fragte der Chemielehrer. „Meine Mutter meint, davon bekommt man keinen schlechteren Charakter!“ – antwortete ich frei phantasierend. Ich dachte, das könnte sie gesagt haben, trug sie doch stets lackierte Fingernägel. Worauf er den Kopf wiegte und meinte: „Ja, da könnte Deine Mutter recht haben.“ Er ließ mich ab sofort in Ruhe. Und ich behielt auch meine Eins in Chemie. In der neunten Klasse wechselte ich an die Erweiterte Oberschule (Gymnasium). Der neue Klassenlehrer war der neue Chemielehrer. Ein netter Kerl, aber Chemie hat er mir gründlich verleidet.
Was also werden? Ich wusste es nicht mehr. Irgendwas mit – Schreiben? Ich unterließ es standhaft, Berufswünsche laut zu äußern. Und weil das so blieb, studierte ich nach dem Abitur – aus Verzweiflung und Ratlosigkeit – Philosophie. Hinter diesen Abschnitt meines Lebens setze ich einen winzig kleinen – Mauervorsprung.