12. Jan 2015

Das Ungenügen an mir (selbst) oder die neue wunderbare Kunst

Peter Sloterdijk schreibt in seinen Notizen 2008-2011, die er „Zeilen und Tage“ nennt, über Jonathan Meese, der in einer Debatte – vermutlich einer Künstlerdebatte – junge Diskutanten mit der These begeisterte, dass die Kunst heute so wunderbar sei, weil man bei ihr endlich gar nichts mehr können müsse. Und – jeder charakterisiere seinen mentalen Status durch die Bedeutung, die er diesem Satz beilege. Ja, nun? Darf ich glücklich sein, ohne etwas zu können, meine Erzeugnisse dennoch Kunst nennen zu dürfen? Oder gehe ich in mich – wie immer – und frage: Ist es Kunst? Ist es Gebrauchskunst? Ist es gar schnödes Kunstgewerbe, was ich da drechsle.

Ich drechsle ja kein Holz,  mische keine Farben, ich behaue keinen Stein, schreibe keine Noten und spiele auch nicht Klavier oder Geige. Ich schreibe Worte. Einfach Worte. Aneinanderreihen. Das kann schließlich jeder. Jeder hat in der Schule schreiben gelernt. Jeder kann sprechen. Also irgendwie mit Worten umgehen. Jeder kann es. Nur manche besser. Und während der Bildende Künstler endlich froh sein darf, dass er seine Kreation, die möglicherweise ohne ein Können entstand, einfach Kunst nennen darf, muss der Wortedrechsler vorsichtig sein. Es kann ihm zu sehr ins Schreibwerk geschaut werden – von all den Wortkönnern per se. Den Schreibern per Unterstufe.

Oft frage ich mich: Darfst Du Dich Autorin oder Texterin nennen? Kannst Du es besser, als andere? Was ist es, was Dich unterscheidet, dass Du es zum Beruf machst? Ja, ich kämpfe mit mir. Kämpfe täglich mit dem Ungenügen an mir. Selten schreibe ich etwas, zu dem ich begeistert sage: Ja! Das ist Dir gelungen! Das ist super! Selten klopfe ich mir auf die Schulter und rufe: Phantastisch! Das wird den Anderen gefallen. Denn die Anderen sind es ja, für die wir schreiben, malen, musizieren oder was diese freie Kunst heutzutage noch so alles kann.

Ich glaube daran, dass manche mehr Talent haben, als andere. Ich glaube daran, dass das, was in der Kunst bleibt, mit Können zu tun hat. Das Bleiben ist es. Ein überhitzter Kunstmarkt, ein verschwatztes Feuilleton kann für eine gewisse Zeit seine Lieblinge hochschreiben, wie man das heute nennt. Aber bleiben sie? Selbst unsere Nationalheiligen Goethe und Schiller werden es schwer haben, die neuen Zeiten zu überstehen. Man wird sie weiter loben und für ewig bedeutend erklären. Aber werden sie gelesen? Freiwillig? Wenn ich mir die heutige Jugend ansehe, liest die lieber im Handy, als in den Folianten der Bibliotheken oder der elterlichen Bücherregale.

Wir befinden uns mitten in einer Zeitenwende von beispiellosem Ausmaß. Alles wird auf den Prüfstand gelegt. Egal, ob die Hersteller es per definitionem „konnten“ oder nicht. Kunst ist am Ende das, was bleibt. Und dieses Bleibende kann auch wieder verschwinden. Wie wir alle. Wie unsere Gewissheiten und Vorstellungen von uns und von der Welt. Ich bleibe demütig.


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