30. Jun 2015

Das Land meiner Wahl? Wie ich in der DDR einmal wählen ging

„Das Land meiner Wahl“ – sang eine DDR-Pop-Gruppe in den Achtzigern – damals in der DDR. Und sie meinten die DDR. Das hat mich ziemlich empört. Der Text war auch noch von Kurt Demmler, einem der Haupttexter der Gruppe „Renft“, die 1975 verboten wurde und in der mein Mann Peter Gläser Gitarrist und Sänger war. Das Land meiner Wahl? „Wer nur die Einzahl kennt, hat niemals gewählt“, dieser Gedanke des Dichters Andreas Reimann sprach mir eher aus der Seele und passte zu unserer Wirklichkeit. Denn wir hatten keine Wahl. Nur diese: Die Kandidaten der Nationalen Front.

Das waren Kandidaten der SED und der Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und DBD, das war die „Demokratische“ Bauernpartei. Unsere Wahl war, diesen „Einheitsblock“ zu wählen – oder nicht. Also kam man in das Wahllokal und erhielt einen großen Zettel mit den „Kandidaten der Nationalen Front“ und man faltete den Zettel und warf ihn in die Urne. Das machten alle. Das war die Zustimmung.

Wie aber nicht zustimmen? Keiner wusste es genau. Ich hatte gehört, wenn man den Wahlzettel quer durchstreicht, würde das nur „ungültig“ bedeuten, aber kein NEIN. Also ging ich in den Achtzigern in mein Wahllokal und frage laut die missmutigen Wahlbeisitzer, die genauso aussahen, wie sie heute aussehen: „Was muss ich tun, wenn ich dagegen stimmen will?“ Alle erstarrten. „Da müssen Sie jeden Namen einzeln durchstreichen!“ – sagte jemand zaghaft. „Gut, haben Sie einen Kugelschreiber?“ – Man reichte mir einen. Es gab zwar eine Wahlkabine, aber ich ging nicht hinein. Weil da eben nie einer reinging. Nahm also meinen „Wahlvorschlag mit den Kandidaten der Nationalen Front“ und strich auf dem Tisch, an dem die Wahlbeisitzer saßen, vor ihren Augen jeden Namen einzeln durch. Dann warf ich den Zettel in die Urne und ging stolz erhobenen Hauptes hinaus.

Peter hingegen faltete den Zettel brav und warf ihn ein. Das bedeutete Zustimmung. Er machte sich Sorgen, dass mein Verhalten Folgen für uns haben könnte. Es hatte keine. Jedenfalls keine merkbaren. Ich glaube heute, wir waren zu bekannt. Offiziell gab es ja eine Wahlmöglichkeit: Ja oder Nein. Ich hatte eben mit Nein gestimmt. Das einzige war, dass ich zur Leipziger Messe im Hotel „Merkur“, in dem ich damals arbeitete, nicht mit den West-Hotelgästen in Kontakt kommen durfte. Das wurde elegant gelöst: Ich wurde zur „Sozialistischen Hilfe“ in die Wäscherei beordert. Ob es da einen Zusammenhang gegeben hat, habe ich nie herausbekommen.

Foto: Ersteller Illner/Bundesarchiv Bild 183-21044-0131, Leipzig, Herbstmesse 1953, Pavillon der Nationalen Front. – Das war später in den Achtzigern ein Veranstaltungsort der Leipziger Avantgarde, den wir NATO nannten.


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