Totensonntag. Stiller Sonntag. Grauer, schneeverregneter Sonntag. Du Bleierne Zeit, die mich an Margarethe von Trottas Film denken lässt, an Schwestern, die durch einen düsteren Märchenwald irren, den imaginären Kindermärchenwald – und sich niemals mehr finden. Zu verschieden. Ich denke an meine Großmutter, die mir von so einem Märchenwald vorlas. Ich denke an zwei Ehemänner, die „gegangen“ sind, ich denke an meine Mutter. An meine Freundin Monika, die im letzten Monat „vor der Zeit“ an Krebs starb. Ich denke an den „Witwenwettbewerb“ auf den Friedhöfen – im Kampf um das bestgepflegte Grab. Gestern schien es dort, auf den Friedhöfen, als sei Jahrmarkt im Himmel. Gerüstet wurde für den grauen Sonntag, der heute ist, auf das ein letztes Bunt-Aufgebot von meistliebender Erinnerung zeuge. Ich denke an meinen Vater, der schon mit sechsundvierzig Jahren auf einer einsamen Landstraße auf ein unbeleuchtetes Fahrzeug der damals Sowjetischen Armee auffuhr und der nach zwei Stunden tot war. Ohne Sicherheitsgurt. Der war damals noch nicht üblich. Ein Tod, der mich für Jahre todtraurig zurückließ. Wer kennt sie nicht, heiße wellenförmige Trauer, die uns überfällt, weil noch nicht alles gesagt war, weil das Unerwartete zustieß. Unerbittlich. Kein Gebet, kein Trost. Kein Zurück. Nichts. Heute wieder weine ich still – wenn ich an dieses Kind denke – das im März nicht geboren wird. Auch das ein Tod. Auch das eine Trauer. Eine bittere Fantasie. – Und ich denke an alle jene, die ich liebe. An die, die mein Leben lebenswert machen. An meine Familie, meine Kinder, meine Enkel, meine Freunde. Wir alle sind gekommen, wir bleiben, wir gehen. Manchmal haben wir das Glück, uns verabschieden zu können. Manchmal harren wir zu lange. Manche sind niemals wirklich geboren. Das ist das Leben. Das ist der Tod. Seltsamer November. Dir gehört dieser Tag.
22. Nov 2015