Achtziger. Wer sich an die Achtziger erinnert, hat sie nicht erlebt. Ich las das in den Neunzigern auf großen weißen Fahnen, die für das Falco-Musical im Theater des Westens in Berlin warben. Ich dachte: Häh! Was muss ich jetzt dabei denken? Versteh ich nicht! Ich fuhr Tag für Tag dort vorbei und irgendwann machte es „Klick“: Ach, das war ein Jahrzehnt, in dem andere sich so zugedröhnt haben und das volle Leben lebten, während ich mit drei Kindern in einer Riesenwohnung in Leipzig saß und auf meinen Mann wartete, der mal kam und mal nicht. Er war kein treuer Mann. Damals hab ich mich verzehrt nach seiner Liebe und dachte, ich könne ohne ihn nicht sein. Wie dumm von mir. Aber nicht mehr zu ändern – all die durchwachten Nächte, all die sinnlos geleerten Rotweinflaschen. Und nicht nur die. Auch rumänischer Weinbrand und irgendein saurer osteuropäischer Sekt verbitterten mir die Tage des Verrats an unserer überirdisch großen Liebe. Du musst etwas tun! Du musst etwas tun. Ich schrieb Tagebücher, die heute verschollen sind. Legte mir Liebhaber zu und begann zu fotografieren. Töpfern wollte ich lernen. Ich studierte Psychologie und ging zu allen Performances, die die Leipziger Subkultur zu bieten hatte. Ins Kino und auch mal ins ungeliebte Theater, wenn Freunde von mir mitspielten. Freunde überhaupt. Ich hatte einen übergroßen Freundeskreis und er wurde immer unüberschaubarer. Wir hatten ein „offenes“ Haus. Heute würde ich sagen: Ich war eine Salondame. Nur dass der Salon eine düstere Wohnküche war und die Dame eine wild gewordene Hausfrau mit Halbbildung, aber ausbaufähig. Ich konnte über alles reden. Das fiel mir noch nie schwer. Und so redete ich über alles und mit allen, die da kamen. Und sie kamen reichlich. Zuerst wollten sie immer meinen Mann, den berühmten Rockstar, besuchen. Beim zweiten Mal schon – kamen sie zu mir. Und so scharte ich einen Kreis aus Künstlern und Intellektuellen um mich, den mein Mann in seinen späteren Memoiren die abendlichen Besucher „unserer Kulturküche“ nannte. Es verging kein Abend, an dem wir nicht mit Freunden ausgingen oder zusammensaßen. Dazwischen wuselten unsere drei Kinder und aus heutiger Sicht haben wir uns ganz sicher zu wenig um sie gekümmert. Auch das kann ich nicht mehr ändern, so traurig es mich manchmal macht. Dennoch: Es war eine wilde Zeit, wenn ich es mit meinem heutigen Leben vergleiche. Eine wilde Zeit, die ich als brav empfand, weil ich glaubte, dass die – dort drüben – noch viel wildere Zeiten erleben. Deshalb wollte ich dorthin. Und das setzte ich auch durch. Wir verließen dieses bunte Leben in der grauen DDR, um in das gelobte Land zu gelangen, in dem dann alles ganz anders wurde, als gedacht, erträumt, befürchtet. Das Ende der Achtziger war das Ende einer Ära. Für mich. Für uns. Für die ganze Welt. Ach so, die Dauerwelle? Die einzige Dauerwelle meines Lebens hatte ich natürlich in den Achtzigern.
Foto von Edith Tar: Ich – Leipzig 1984