Ach, DDR. Ist ja neuerdings so ein Sehnsuchtsort. Die Sozialisten, die Vergemeinschafter, scheinen auf dem Vormarsch zu sein. Doch waren wir so vorbildlich sozialistisch, wie es die Erzählung gern hätte? Wir – das waren die supersozialistischen Eltern, mit denen ich gestraft war. Wir, das waren die, die denen vorangingen, die sich heute immer noch – gemästet vom gern und glühend geschmähten Kapitalismus – darin gefallen, ihren Ast, auf dem sie es sich mittlerweile so gemütlich gemacht haben, abzusägen. Denn die Sozialisten/Kommunisten haben wohl kapiert, dass sie sich’s in ihm, dem Kapitalismus, gemütlich machen können. Seine Vorteile ausnutzen und gleichzeitig dieses Wirtschaftsmodell für die eigenen Fehler verantwortlich machen. Was kann es Schöneres geben! – Da fällt mir Frau Lösche ein, unsere super Haushaltshilfe, die alles konnte und alles richtete, die sogar Weihnachtsschmuck in der Wohnung anbrachte, ohne darum gebeten zu werden. Wir hatten immerhin in Lauchhammer – dieser proletarischen Braunkohle-Klein- und Industriestadt – eine Haushaltshilfe, damit die Mutter sich selbstverwirklichen konnte. So toll und omnipotent, wie sie sich gern darstellte, war sie dann auch nicht. Ich blende das immer aus, dass wir ständig Haushaltshilfen hatten. Die nach Schweiß riechende Frau Kornedt. Puh, wenn ich von der Schule nach Hause kam, roch die ganze Wohnung nach ihr. Da wüsste ich gern, wie die Eltern solche Leute kennengelernt haben. Sicher war das über irgendwelche Beziehungen. Und niemanden kann man mehr fragen. Schade, dass Tante E. auch langsam durchdreht und man ihr nicht glauben kann. Was man auch bei dieser Suche nach der richtigen Zeitung von den Weltfestspielen Anfang der Fünfziger sieht. Sie bildet sich ein, auf dem Titelblatt gewesen zu sein. Aber wenn man nachforscht, was ich ja getan habe, gibt es dieses Titelbild nicht. So kann man sich seine Vergangenheit zurechtlügen und glaubt am Ende selbst dran. Ich bin da sicher auch nicht frei davon. Und wer weiß, was von dem stimmt, was unsere Mutter so erzählt hat. Wenn ich angestrengt nachdenke, fällt mir nicht viel ein. Dass sie mal mit verpasstem Start Kreismeisterin im Schwimmen vom Kreis Aue war. Aue, eine Stadt in Sachsen, eine der Stationen auf dem langen Weg zur Oma. Von Lauchhammer nach Johanngeorgenstadt, meine beschwerliche Reise, als ich 8 bis 12 war. Bin ich da allein gefahren? Leider weiß ich es nicht mehr und kann keinen mehr fragen. Alle sind tot, die es wissen könnten. Alle sind tot. Auch meine Kinder und Enkel irgendwann. So ist das Leben, es ist eine grausame Angelegenheit oder der Tod ist gar nicht schlimm. Vielleicht ist er doch eine Offenbarung. Oder das Licht geht aus. Und alles ist vorbei. Man spürt nichts mehr, man merkt nichts mehr. Alles umsonst gewesen, all die Aufregung, all die Liebe, all das Sorgen, alles umsonst.
23. Apr 2020