Er war der Mann, den ich wirklich geliebt habe. So gut und so heftig ich das damals vermochte. Ich war rücksichtslos. Ich hätte mich gar nicht für ihn interessieren dürfen. Und sagte nicht: Geh nach Hause zu Deiner Frau, kümmere Dich um Deine Kinder! Ich tat das damals nicht. Weil ich ihn und nur ihn wollte. Wofür auch immer. Später hab ich mich oft gefragt: Warum glaubte ich so absolut und unentrinnbar, dass es dieser und immer wieder dieser sein muss? Es ist ein anderes Kapitel.
Eines Tages jedenfalls zog Peter zu mir, ein halbes Jahr später war er geschieden. Ja, das ging damals so schnell – in der DDR. Zwei Monate später beschlossen wir zu heiraten. Auch das ging schnell. Nach weiteren vier Wochen war es so weit. In einem Leipziger Standesamt standen wir ganz allein, ohne Trauzeugen, die brauchte man nicht, ohne Blumen, die wollten wir nicht. Auch zogen wir uns nichts Besonderes an, saßen einfach so im Flur des Standesamtes und warteten, bis wir „drankamen“. Neben uns eine große Hochzeitsgesellschaft, mit Braut und Schleier und Bräutigam und Zylinder. Und mit Blumenmädchen und viel Geschrei. Die kamen gar nicht auf die Idee, dass wir auch ein zu trauendes Paar sind. Die dachten, wir sitzen da still herum und warten auf irgend etwas anderes.
Irgendwann wurden wir aufgerufen und gingen ins „Heiligste“. Das Trauzimmer des Standesamtes Leipzig-Stötteritz. Die Standesbeamtin sah uns etwas befremdet an und hielt uns eine Art Aschenbecher hin. Was wollte sie damit? Sie wollte…“Die Ringe“. Wir hatten keine. Missbilligend stellte sie das Gefäß in die Ecke und fragte: Und die Gäste? Haben wir auch nicht. Mmh. Na gut. Dann fangen wir eben an. Als wir uns zur „Eheschließung“ anmeldeten, mussten wir Musik für den „großen Moment“ bestellen. Wir suchten auf einer Liste irgendwas von Bach aus. In einer Nische des Zimmers, hinter einem Holzperlenvorhang, saß ein älterer Herr und spielte das Gewünschte. Er fand das sicher genauso komisch wie wir, als die Standesbeamtin dennoch mit großer Geste begann, ihre Rede zu halten. Und als sie fertig war, als wir „Ja“ gesagt hatten, legte er wieder los, auf seiner Hammondorgel.
Die Ringzeremonie und die Kussaufforderung ließ sie, sichtlich aus dem Konzept gebracht, dann eben weg. Irgendwann lachte der Nischenpianist, wir lachten sowieso und verabschiedeten uns. Vielleicht lächelte auch sie, die Frau Beamtin, ich weiß es nicht mehr. Sie reichte uns das grüne Familienbuch, mein neuer Mann Peter griff es sich, schob es unter seine Jacke und – raus.
Ein bisschen Tradition bewahrten wir. Wir hatten einen Freund, der Fotografik an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte, zur Thomaskirche ans dortige Bachdenkmal bestellt. Wir fragten ihn lediglich, ob er uns fotografieren würde. Er kannte den Anlass nicht und hat ihn wahrscheinlich auch nicht erfahren. Zumindest nicht an diesem Tag.
Ich bin heute sehr froh, dass ich diese Bilder habe. Wie jung und wie schön wir waren! Und tatsächlich irgendwie glücklich. Niemand hat etwas gewusst. Diese Hochzeit war eine ganz und gar heimliche. Wir dachten, das sei eine richtige Hippiehochzeit. Lässig und cool. Wobei es das Wort cool noch nicht gab. Es war ein 30. September, die Sonne schien und wir gingen in die neue kubanische Kneipe, die gerade in der Nähe des Alten Marktes eröffnet hatte. Dort feierten wir ganz allein unsere Hochzeit. Später – im Mondschein – schlenderten wir lachend und Kuba-Rum-beschwipst nach Hause. Peter sagte zum Abschluss dieses denkwürdigen Tages: WENN DAS DIE RICHTIGE FRAU GLÄSER WÜSSTE! – ich sagte nichts. Mein Rumpelstilzchen war erst ein Vierteljahr geschieden.
Foto: Elisabeth und Peter Cäsar Gläser vor der Thomaskirche Leipzig.