Hat das Weihnachten angefangen? Schon vorher? Schleichend auf jeden Fall. Mein Herz scheint damit zu beginnen, mich endgültig totzuschlagen. Normalerweise hab ich noch nie über dieses unaufhörliche Schlagen nachgedacht. Nun ist es soweit: Mein Herz flippt aus und schlägt unregelmäßig. Herzrasen. Herzstolpern. Googeln! Herzmuskelentzündung? Vielleicht. Herzrhythmusstörungen? Wahrscheinlich. Wie herausfinden? Exzessives Googeln macht noch verrückter.
Also ein Kardiologe. Termin am Mittwoch. „Wir machen einen Herz-Ultraschall und ein EKG und Sie nehmen dann ein 24-Stunden-EKG mit nach Hause und bringen es am nächsten Tag zurück.“ Gut. Dieser Herz-Ultraschall – erinnert mich an den Wetterbericht, den Schwangere stolz mit sich herumtragen. Ja, man kann das freche Ding schlagen sehen. „Sie haben eine Herzinsuffizienz, Grad 1. Heißt: Können wir vergessen!“. Aha. Warum gibt es denn dann Grad 1? (Hektisches Googeln zu Hause ergibt: Ja, stimmt. Grad 1 ist in der Skala, aber kein Handlungsbedarf.) Ansonsten tut das Herz, was es soll, keine krankhaften Veränderungen. „Aber ich merke ständig dieses Ruckeln und Rasen!“ „Wir machen ja noch das 24-Stunden-EKG und nächste Woche steigen Sie hier aufs Rad und das wird dann ein Belastungs-EKG.“
Während von Tag zu Tag Herzrasen und Ruckeln schlimmer und schlimmer werden, kommt der Tag auf dem Rad. Ich – Nicht-Radfahrerin – strampele vor mich hin, erst leichthin, dann schwerer, am Schluss kommt‘s mir wie bergauf vor. Die haben das so eingestellt. „Und jetzt noch zwei Minuten!“ feuert mich die Schwester an. – Ich schaffe noch 30 Sekunden und denke: Nee, so eine Brave bin ich nicht, dass ich mir hier noch einen abquäle. Ich mach Schluss und die zwei Schwestern, die dabei stehen, erzählen mir von Extra-Schlägen, die ich reichlich habe. „Machen Sie sich mal keine Sorgen, das haben viele. – Ja, klar, das macht Angst. Ist aber meist nicht so schlimm. Außerdem nehmen bei Ihnen die Extraschläge, wenn Sie sich anstrengen, ab.“
Soso, man rät mir zu sportlicher Ertüchtigung. Oder straffem Gehen. I’m not amused. Dann nochmal zum „Herrn Doktor“. Der spricht von 7000 Extraschlägen – auch Extrasystolen – genannt, die mein Herz einfach mal so am Tag mehr schlägt. Haben die auf dem 24-Stunden-EKG gesehen. Und auf dem EKG-Rad. Ich denke mir, falls die Schlaganzahl endlich oder begrenzt ist, was sie ja ist, sterbe ich wahrscheinlich sehr viel eher. Bei dieser Schwerstarbeit. „Kann das wieder weggehen?“ „Kann, kann aber auch nicht. Manche haben das einfach. Und merken es noch nicht einmal. – Ich verschreibe Ihnen einen geringdosierten Betablocker. Versuchen Sie es. Wir sehen uns dann in vierzehn Tagen.“
Ich besuche zu Hause mit spatzenhaftem Herzflattern tausende Seiten und Chats. Und weiß nun, ich hab vermutlich stressbedingte Extrasystolen. Betablocker entstressen und setzen den Puls runter. Und den Grundumsatz! Im Umkehrschluss: Ich werde zunehmen! Gott bewahre! Das kann ich wirklich nicht gebrauchen. Außerdem macht der seit letzter Woche folgsam eingeworfene Betablocker noch mehr Angst. Ich rase mit Volldampf in die Herzneurose. Sobald ich irgendwo zur Ruhe komme, stolpert und poltert das Herz laut wie ein Wackerstein bis zum Hals hoch. In den Chats sprechen einige von möglichem Herzstillstand. Herzneurose ist die neue Panikattacke, denk ich, was mich natürlich nicht davon abhält, Todesängste auszustehen. Die gestrenge Kollegin meint, ich solle dem Arzt doch mal vertrauen! Die esoterischen Freundinnen flüstern, ich solle darüber nachdenken, warum mein Herz Extrasprünge und Extraschläge vollführen müsse. ICH solle das doch bitteschön selbst tun, dann kann das Herz in Ruhe weiterschlagen. Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so Beta wie zuvor. Weiter einwerfen die Dinger – oder ausflippen? Früher hatte ich Liebeskummer, jetzt hab ich Betablocker. Ich wusste schon immer, dass Altwerden nicht die „Kraft der zwei Herzen“ bedeutet. Kein fröhliches Senioren-Paar auf dem Fahrrad. Keine glückliche Yogatante mit grauem Wallehaar. Ich sitze da. Mit Wattekopf und blutendem Herzen auf dem Sofa und – esse Blockschokolade. Endlich ein ruhiger Betablocker-Tag. Frau gewöhnt sich an alles.