Am vergangenen Freitag interviewte mich eine Journalistin vom Mitteldeutschen Rundfunk wegen des 70. Geburtstages von Peter Cäsar Gläser. Anlass war das Gedenk-Konzert, das morgen im Leipziger „Anker“ stattfindenden wird. Meine Söhne Robert und Moritz werden – neben vielen anderen Weggefährten und Künstlern – auftreten. Ich bin keine geübte Rednerin und so wusste ich nach dem Interview nicht mehr richtig, was ich gesagt hatte. Mein Gestammel kam mir verheerend vor. Da es ohnehin nur ein kurzer Beitrag werden sollte und ich – als Radiofrau – weiß, was nach dem Schneiden der O-Töne noch bleibt, mach ich mir nicht wirklich Sorgen.
Aber ich habe nachgedacht. Vor allem über die erste Frage, die ich beantworten sollte. Sie erschien mir simpel und überflüssig. Dennoch hat sie ein Potential, das ich in der Kürze nicht ausschöpfen konnte. Sie lautete: „Wann hatte aus Ihrer Sicht Cäsar seine erfolgreichste musikalische Zeit?“
Abgesehen davon, dass ich ihn niemals Cäsar nannte, sondern immer Peter, verblüffte mich die Frage kurz. Ist doch klar! Das war die Zeit mit RENFT. Denn diese Zeit machte ihn überhaupt erst erfolgreich. Im kleinen Land. Natürlich könnte man nachdenken, was „erfolgreich“ wirklich bedeutet: Finanziell erfolgreich. Berühmt sein. Im Fernsehen und im Radio präsent sein. Viele Platten, CDs, Alben produzieren und verkaufen. Jedes Kind kennt Deinen Namen. Nicht nur Erfolg, sondern auch reich. Das wäre – so schnöde umrissen – erfolgreich.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Peter sich darum wenig Gedanken machte. Er kam mit siebzehn Jahren zu RENFT. Und da wollte er einfach nur Musik machen. Vordem hatte er den ungeliebten Beruf des Elektrikers gelernt – letzter Satz im Facharbeiterzeugnis „Aus Peter Gläser könnte durchaus noch etwas (Vernünftiges/Ordentliches) werden“ – und er war glücklich, dem Hamsterrad im Gaswerk „Max Reimann“ in Leipzig entronnen zu sein. Wunderbar war die Zeit, nachdem er auch noch den Wehrdienst hinter sich gebracht hatte und erneut bei RENFT spielen durfte. Er wollte nur spielen. Er wollte die Songs, die er seit Jahren im Kopf hatte, endlich auf die Bühne bringen. Und so entstand sein erster Hit „Wer die Rose ehrt“, vielleicht der erste DDR-Rockschlager, der von allen Radiostationen gespielt wurde. „Ein schönes Lied!“ sagte nicht nur meine Mutter. Peter hatte die Gabe, Songs mit dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zu erschaffen. Das gefiel auch den Muttis und Omas. Und auch den jungen Männern und Frauen. Damals auch den ganz Jungen. RENFT überhaupt – die Band – wurde zum Kult. Man fuhr an den Wochenenden in die berühmten Dorfsäle – Gaschwitz oder Amorsaal Mülsen, nur so als Beispiele. Die Band klang schrecklich, die Technik, mit der die Musiker notdürftig hantieren mussten, war schlecht. Doch war es Sex, Drugs and Rock’n’Roll à la DDR. Die damals noch so genannte Beatmusik war endlich in das kleine Land hinter dem Eisernen Vorhang eingezogen. Und mit Einschränkungen erlaubt. RENFT, Stern Meißen, die Pudhys, Karat, Elektra, Hansi Biebl, Jürgen Kerth und zahlreiche andere tourten sehr erfolgreich durch die Lande und es entstand das, was heute Ostrock genannt wird. Ich kann es auf die Schnelle nicht mit einer Quelle belegen, aber ich hörte später, dass der Westberliner Musikkritiker, Autor und Ostrockkenner Olaf Leitner sagte: „Sie schrieben Welthits, die keine werden durften“. Ja, so war das. Peter hat später viel darüber nachgedacht, ob er im Westen auch so berühmt geworden wäre, wie in der DDR. Die Frage kann niemand beantworten und sie ist auch müßig. Es gibt kein Parallelleben, zumindest keines, von dem wir wissen.
Jetzt zu meiner Antwort auf die Frage: Wann war Peter Cäsar Gläser am erfolgreichsten? Natürlich beantworte auch ich die Frage mit: Es war RENFT. Da kam er zu Ruhm wie die Jungfrau zum Kind. Ungeplanter Ruhm. Einfach so. Er war jung und hungrig. Die anderen in der Band waren es auch. RENFT war mit drei höchst unterschiedlichen Sängern besetzt. Die Band hatte einen cleveren Leader, Klaus Renft. Die Band war innovativ. Und stritt sich gern. Und wurde im September 1975 verboten. Das adelte sie umso mehr. Das Verbot machte sie unsterblich. Peter meinte: „Hätten die uns nicht verboten, hätten wir uns selbst aufgelöst, denn wir standen kurz davor, uns zu trennen.“ Zu groß waren die Meinungsverschiedenheiten. Dennoch: Auch wenn die Kulturbeauftragten in den Städten, Kreisen und Bezirken der DDR und die der Medien sich noch so bemühten, das „Ereignis“ der Band RENFT in der DDR ungeschehen zu machen, es gelang nicht. Die zwei Langspielplatten, die die Band in der kurzen Zeit ihrer Erfolgswelle herausgebracht hat, wurden immer höher schwarzgehandelt. Bis zum Ende der DDR. Wo ein Bedürfnis ist, schafft es sich einen Weg. Erfüllungsgehilfe war die Band „Karussell“, in die Peter Gläser und der Schlagzeuger von RENFT, Jochen Hohl, 1976 einstiegen. Peter öffnete dem ebenfalls sehr cleveren Bandleader Wolf Rüdiger Raschke – das war die Chance seines Lebens und das wusste er – die wichtigen Türen beim Rundfunk und bei den Konzertagenturen – und schon startete „Karussell“ mit einem neuen Gläser-Hit „Whisky“ in die DDR-Charts und mit diversen Tourneen ins Land. Und sie hatten Erfolg, der zunächst darauf beruhte, dass die Fans eine Art Ersatz-RENFT in der Band sahen bzw. sehen wollten. Ein schweres Erbe, das Karussell anständig bediente. Und immer mehr und immer besser. Es gab kaum einen Monat, in dem die Band nicht mindestens dreißig Mal spielte. Und das über Jahre. Nebenbei wurden bei der einzigen Plattenfirma der DDR, „Amiga“ noch Langspielplatten eingespielt. Und Peter immer als Frontmann und Gitarrist. Das war zu viel. Es drosselte die Kreativität und vermehrte den Alkoholkonsum. Peter war unglücklich, irgendwie spürte er, dass er etwas anderes wollte. Nur was?
Wir diskutierten nächtelang, auch mit unseren zahlreichen Freunden, die eher nicht in der Musikerszene ansässig waren, sondern – es waren zum größten Teil meine Freunde – als Maler, Bildhauer, Dichter, Psychologen oder Lebenskünstler ihren Unterhalt bestritten. Einschließlich meiner Person – ich wurde von hämischen Zeitgenossen als Peters Yoko Ono bezeichnet, ja, die meinten das nicht freundlich. Vielleicht hatten sie recht. Dieser Freundeskreis und ich bedienten Peters lebenslange Sehnsucht nach philosophischen Erklärungen und seinen Drang, etwas „ganz Großes zu tun“. Zunächst einmal waren wir uns alle einig: Peter sollte die Band Karussell verlassen. Dazu rieten wir ihm alle, denn die Band nannten wir kommerziell und wenig innovativ. Heute weiß ich, dass das höchstwahrscheinlich ein Fehler war. Ich würde mit meiner heutigen „Lebensweisheit“ nie mehr derart strikte Ratschläge geben. Aber es war so und zu ändern ist es auch nicht.
1983 stieg Peter bei „Karussell“ aus. Unter sehr großen Schwierigkeiten, wir brauchten eine große Musikanlage, einen Lastentransporter, neue Musiker und Techniker, stürzten wir uns in die Organisation von Peters neuem Musikerleben – als Bandleader. Es wäre eine andere und endlose Geschichte der Niederlagen und Erfolge, wollte ich aufzählen, wie wir es schafften, am Ende tatsächlich eine Band mit einer Anlage, zwei Technikern und einem LKW zu haben, die den frischgebackenen neuen „Cäsar“ auf der Bühne und drumherum unterstützte und begleitete. Wir taumelten mit „Cäsars Rockband“ einer ungewissen Zukunft entgegen. Peter verwirklichte seine und vor allem meine alten Träume. Die von einem Bühnengesamtkunstwerk. Mit Musikern, Malern und Dichtern. Es war nicht unerfolgreich, aber erfolgreich war es nicht.
Bemerkenswert in dieser Phase ist vielleicht, dass Peter anfing, eigene Texte zu schreiben und das nicht einmal schlecht. Später sogar ein Buch. Leider hat er – noch später – wieder damit aufgehört. Auch hatte er eine lange cleane Phase in Bezug auf den Alkohol. Selbstverständlich folgte die einem quälenden Absturz.
Wir entschlossen uns, das Land DDR zu verlassen. Was wir auch taten. Wobei Peter später sagte, er hätte es nur meinetwegen gemacht. Na, das hat er ja dann auch korrigiert. – Ab Westberlin vergaßen wir für kurze Zeit unsere Träume. Da war nur noch Überleben angesagt. Peter fuhr Taxi. Ich lernte zunächst den Beruf einer Bürokauffrau. Dann studierte ich noch einmal an der Universität der Künste Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Peter gründete zu Beginn der Neunziger – anfangs noch gemeinsam mit unserem Sohn Robert – eine neue Cäsarband, die aus wirtschaftlichen Gründen recht schnell zum Cäsar-Trio wurde. Damit tourte Peter durch die Dörfer und ein paar Städte der DDR. Das war aufgrund seines alten Ruhmes möglich. Es ernährte uns, aber erfolgreich war auch das nicht.
Ende der Neunziger Jahre trennten wir uns. Peter zog nach Leipzig zurück. Das Cäsar-Trio löste sich auf. Er formierte noch weitere Male neue Bands. Kam aber nie mehr wirklich auf die Beine. Der junge hungrige Musiker von einst war alt geworden, hatte vieles probiert, dazu gehörten auch vollkommen andere musikalische Stile, die er in seine Musik integrierte. Und eine Autobiografie, die ich persönlich als nicht so „gnadenlos ehrlich“ empfinde, wie es von einigen Kritikern dargestellt wurde. Auch das ist ein anderes Kapitel.
Mein Fazit: Peter Cäsar Gläser konnte tatsächlich Hits schreiben. Eingängig bis zur Schmerzgrenze, wie ein Dichter-Freund einmal sagte. Eingängig, melodiös, volkstümlich. Er wollte aber mehr. Er wollte ganz neue Kunstwerke schaffen, das war nicht so erfolgreich. Und vielleicht meinen Einflüsterungen geschuldet.
Und so geht sein innovativer Erfolgspegel im Verlaufe seines Lebens immer weiter nach unten. Seine innere Zufriedenheit litt dennoch nur unwesentlich oder gar nicht. Er war, was sein Können in der Musik betraf, ein Realist. Mehr, als manche denken oder meinen. Er hatte dennoch immer Pläne und – nun ja – Visionen. Leider kam ihm seine aggressive Krankheit dazwischen. Er wollte unbedingt an seinem 60. Geburtstag, am 7. Januar 2009, mit seinen Söhnen auf der Bühne des „Ankers“ in Leipzig stehen. Das letzte Mal vor seinem Tod, als ich ihn mit den Kindern besuchte, plante er ungebrochen für diese Veranstaltung. Er wollte gern bis zuletzt an die Möglichkeit einer Spontanheilung glauben, denn Spirituelles hat ihn auch sein Leben lang fasziniert. Nach diesem – auch sehr lustigen – Gespräch in der Palliativen Station des Elisabeth-Krankenhauses in Leipzig hob ich ihn in einen Rollstuhl und schob ihn zum Abendessen. Und habe ihm so sehr sein Wunder gewünscht.
Foto: Peter Cäsar Gläser und ich in den Achtzigern